Wenn ich mal groß bin …

Als ich fünf Jahre alt war, wollte ich Krankenschwester werden. Das ist so ein typischer Berufswunsch kleiner Mädchen. Heute bin ich ein großes Mädchen und will davon nichts mehr wissen.

Auch dass ich während der Schulzeit mal darüber nachgedacht habe, Flugbegleiterin zu werden, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Ich meine: Das mit dem Reisen ist ja schön und gut, aber will ich wirklich dauernd in so einer übergroßen Sardinenbüchse eingepfercht sein? Ach, nö.

Journalismus? Hmmm …

Irgendwann dachte ich: Journalistin. Das wollen ja viele werden. Um mal zu sehen, wie das da so läuft, habe ich in der Schule zwei einwöchige Praktika bei einer Lokalredaktion gemacht. Da wurde am Morgen als Erstes eine Besprechung abgehalten. Schlau, wie ich bin, habe ich mir dafür Cappuccino in der Thermoskanne mitgebracht. Anschließend ging es dann meist auf Termin. Beim ersten Praktikum war ich beim Amtsgericht, wo der Fall zweier Männer verhandelt wurde, die beim illegalen Gotchaspiel im Wald erwischt worden waren. Das war so mittelspannend, aber auf jeden Fall besser als ein Ortstermin beim Taubenzüchterverein.

Aufregender fand ich, dass ich einen Bericht über meine Mitschüler und ihre Erfahrungen im Praktikum schreiben durfte. Ich bin also losgezogen und habe sie gründlich ausgequetscht. Okay, sagen wir es mal so: Dafür dass junge Leute ziemlich mundfaul sein können, wenn man was von ihnen wissen will, habe ich einiges aus ihnen rausgekriegt. Es ist dann auch ein schöner Artikel entstanden. Leider habe ich kein Exemplar davon gekriegt und heute kommt man an das alte Zeug nicht mehr so leicht ran. Zumindest nicht als ehemalige Praktikantin, die kein Schwein kennt.

Beim zweiten Praktikum war einer meiner Mitschüler dabei. Auch er kam in den Genuss der morgendlichen Kaffeepaus–, äh, Tagesbesprechungen. In diesem Jahr wurde eine neue Klärschlammanlage in der örtlichen Kläranlage vorgestellt – ein großes Ding! Beim offiziellen Einweihungstermin hat uns dann der Oberbürgermeister die Hand geschüttelt – wow! Außerdem durften wir während des Praktikums hinterrücks Passanten überfallen, also eine Meinungsumfrage durchführen. Danach konnte ich absolut nachvollziehen, wieso das eine so unbeliebte Aufgabe ist. Mein Fazit nach diesen Erfahrungen: Ich schreibe gern, aber nicht beim Lokalblatt.

Die Sache mit der Politik

Ich war also nach wie vor ratlos. Also bin ich mal zum Arbeitsamt gestiefelt, das damals noch keine Agentur, sondern eine Anstalt war. Dort gab es eine Wand, vor der ein riesiger Aufsteller voller Berufsinformationsblätter stand. Wahnsinn, was man da so rausziehen konnte! Die Auswahl verwirrte mich so sehr, dass ich mir unter anderem ein Infoblatt mitnahm, auf dem erklärt wurde, wie man Politiker wird. Hilfe!

Alle, die mich kennen, hören jetzt bitte wieder auf zu lachen! Diese Idee habe ich natürlich verworfen, sobald ich wieder klar im Kopf war. Leider brachte auch der Computertest an den vorsintflutlichen Geräten im Amt nicht die erhoffte Erleuchtung.

Vielleicht was mit Fremdsprachen?

Als Nächstes dachte ich darüber nach, ein Studium zu beginnen, und fand heraus, dass es ein paar Unis gab, die einen Übersetzerstudiengang anboten. Das war doch mal was, was meinen Neigungen und meinem Talent entsprach. Leider stellte sich heraus, dass man dafür einen Strebernotenschnitt brauchte. Den konnte ich allerdings nicht vorweisen, weil meine Noten schonungslos mein Talent (für Sprachen und Kunst) beziehungsweise meine Unfähigkeit (in Physik, Mathe, Chemie) widerspiegelten und im Gesamten betrachtet keine Eins vor dem Komma ergaben.

Auf keinen Fall Statistik!

Plan B sah Soziologie oder Anglistik vor. Aus Soziologie ist nichts geworden. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen, denn was ich auf gar keinen Fall machen wollte, wusste ich genau: alles, was auch nur im Entferntesten mit Mathe zu tun hat (drei von vier Kursen versenkt, das muss man auch mal schaffen!). Da fragt man sich natürlich: Wie zum Geier bin ich auf die Idee mit dem Soziologiestudium gekommen? Ist ja nicht so, als bräuchte man da Statistik und solches Zeug. Sprechen wir nicht mehr darüber.

Nein, ich werd nicht Lehrerin!

Aus Anglistik wurde dann allgemeine Sprachwissenschaft. Das hatte ich zuvor überhaupt nicht auf dem Schirm, erwies sich jedoch als wunderbar interessantes und vielfältiges Studium. Nur die ständigen Fragen, was man denn damit machen könne, beziehungsweise das ewige „Ah, du wirst Lehrerin“ nervten nach der 348938439. Wiederholung irgendwie. Gelernt habe ich aus dem Frage-Antwort-Spiel anscheinend aber nicht so viel, denn jetzt mache ich etwas, was ich ebenfalls ständig erklären muss: Ich arbeite als freie Lektorin und Texterin.

Ich bin jetzt groß. Ob ich was geworden bin? Bestimmt. Viele würden sagen: nicht besonders groß, dafür aber ziemlich frech. Ist ja auch was, nicht?

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